Vergaberecht reformieren: Verbände fordern flexibleren Umgang mit dem Losaufteilungsgebot
Vor dem Hintergrund des enormen Investitionsbedarfs in bezahlbaren Wohnraum und in die Modernisierung der Verkehrs- und Energieinfrastruktur ist es essenziell, nicht nur Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, sondern auch die Umsetzung durch schlanke und praxisgerechte Vergabeverfahren zu ermöglichen. Ein zentraler Ansatzpunkt ist dabei die sogenannte Gesamtvergabe, bei der – statt einer Zerstückelung in zahlreiche Einzellose – ein Auftrag gebündelt an einen Generalunternehmer vergeben werden kann.
Hoher Koordinationsaufwand durch Einzellose
Derzeit schreibt das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB, § 97 Abs. 4 Satz 2) grundsätzlich die Aufteilung von Bauaufträgen in Lose vor. Dies führt dazu, dass bei Bauvorhaben wie Schulen, Krankenhäusern oder Wohngebäuden oft 60 bis 80 Einzelleistungen separat vergeben werden müssen. Bei kritischen Infrastrukturprojekten, etwa der Sanierung von Bahnstrecken, könne diese Praxis zu erheblichen Koordinations- und Kompatibilitätsproblemen führen – und im schlimmsten Fall zu Projektverzögerungen.
Rechtsprechung behindert praxistaugliche Vergaben
Die Verbände kritisieren, dass die Rechtsprechung die Abweichung vom Losaufteilungsgrundsatz zunehmend restriktiv auslegt. Die Anforderungen an die Vergabestellen zur Begründung solcher Abweichungen sind hoch, die Umsetzung mit erheblichen personellen und zeitlichen Ressourcen verbunden. Dies geht über europarechtliche Vorgaben hinaus und konterkariert die Ziele des Bundes-Klimaschutzgesetzes, wonach stets die klimafreundlichste Lösung zu bevorzugen ist. Diese Anforderungen gehen laut den Verbänden weit über die Vorgaben des europäischen Vergaberechts hinaus und konterkarieren sogar das Bundesklimaschutzgesetz, das die klimafreundlichste Lösung bevorzugt.
Vorteile der Gesamtvergabe
Die Verbände betonen die vielfältigen Vorteile der Gesamtvergabe:
- Reduktion von Schnittstellen und Koordinierungsaufwand
- Vermeidung von Bauablaufstörungen
- Erhöhte Planungs- und Ausführungssicherheit
- Durchgängige Nutzung digitaler Werkzeuge und BIM-Modelle
- Innovationsförderung und bessere Einbindung nachhaltiger Baukonzepte
- Übertragung von Termin- und Kostenrisiken auf den Auftragnehmer
Ein weiterer Vorteil ist die Möglichkeit, ingenieurtechnische, ökonomische und ökologische Optimierungen besser zu realisieren. Die Trennung von Planung und Bau verhindere oft, dass innovative Ideen in die Ausschreibungen einfließen können.
Keine Abschaffung der Einzellosvergabe – aber gezielte Ausnahmen
Trotz der genannten Vorteile soll die Einzellosvergabe auch künftig Standard bleiben, insbesondere bei kleinteiligen Projekten wie der energetischen Gebäudesanierung. Ziel der Verbände der geforderten Reform ist es daher nicht, das Prinzip der Losvergabe grundsätzlich infrage zu stellen, sondern es durch Ausnahmen praktikabler zu gestalten.
Dabei betonen die Verbände ausdrücklich, dass eine maßvolle Flexibilisierung die mittelständischen Unternehmen nicht benachteiligt, sondern deren Potenziale besser zur Geltung bringen kann – etwa bei seriellen und modularen Bauweisen.
Die Verbände fordern deshalb:
- eine Flexibilisierung der Vergaberegeln, die es erlaubt, im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen Gesamtvergaben rechtssicher durchzuführen,
- eine Erweiterung der zulässigen Begründungen für Abweichungen – nicht nur wirtschaftlich oder technisch, sondern auch rechtlich und zeitlich sowie
- eine Anpassung der Anforderungen an die Begründungstiefe, um bürokratische Hürden abzubauen.
Konkret schlagen die Verbände eine Neufassung von § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB vor: „Mehrere Teil- oder Fachlose dürfen zusammen vergeben werden, wenn dies insbesondere aus rechtlichen, technischen, wirtschaftlichen oder zeitlichen Gründen zweckmäßig ist.“
Erprobte Ausnahmeregelungen liefern Vorbild
Bereits im LNG-Beschleunigungsgesetz und im Bundeswehr-Beschleunigungsgesetz hat der Gesetzgeber Ausnahmen vom Losaufteilungsgrundsatz vorgesehen. Diese Beispiele zeigen aus Sicht der Verbände, dass auch im zivilen Bausektor praktikable Regelungen möglich sind – und dringend nötig wären.
Auch das in der vergangenen Legislaturperiode beschlossene Vergabetransformationspaket hat bereits eine Weiterentwicklung in diese Richtung vorgesehen.
Flexibles Vergaberecht als Schlüssel zur Zukunftssicherung
Die Bau-, Wohnungs- und Verkehrsverbände sehen in der Reform des Vergaberechts eine Schlüsselmaßnahme zur Lösung der aktuellen Herausforderungen auf dem Wohnungs- und Infrastrukturmarkt. Eine moderne Vergabepraxis müsse sowohl Effizienz als auch Innovationskraft stärken und den Kommunen die nötige Entscheidungsfreiheit geben, um Projekte je nach Größe und Komplexität flexibel und effektiv umzusetzen. (schi/jaw)