100 Jahre GdW – Die Entwicklung des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft
Die Ursprünge der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft liegen im 19. Jahrhundert, als Sozialreformer wie Victor Aimé Huber die Idee der genossenschaftlichen Selbsthilfe propagierten, um die Wohnungsnot zu lindern. Diese frühe Phase war geprägt von ersten Versuchen, Arbeiter durch Wohneigentum zu sozialer Sicherheit zu führen.Doch erst mit der Einführung des Genossenschaftsgesetzes 1868 und dem Aufkommen von Baugesellschaften wie der Berliner gemeinnützigen Baugesellschaft (BGB) konnten rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen geschaffen werden, die den Bau von Arbeiterwohnungen förderten.
Während Baugesellschaften in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine zentrale Rolle spielten, gewannen die Baugenossenschaften ab den 1870er-Jahren an Bedeutung. Sie basierten auf Selbsthilfe und solidarischen Strukturen, was sie zu einem wichtigen Teil der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft machte. Durch die Einführungstaatlicher Vergünstigungen und die Gründung von Verbänden wie dem „Verband der Baugenossenschaften Deutschlands“ 1896 wurden die Grundlagen für eine organisierte Wohnungswirtschaft gelegt.
Der Aufstieg des GdW und seine Rolle im 20. Jahrhundert
Mit der Gründung des „Hauptverbandes deutscher Baugenossenschaften“ 1924, einem Vorläufer des heutigen GdW, begann die moderne Phase der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft in Deutschland. Der Verband setzte sich von Beginn an für die Interessen der Genossenschaften sowie Baugesellschaften ein und spielte eine entscheidende Rolle bei der politischen Einflussnahme und der Förderung des sozialen Wohnungsbaus.
Die Gemeinnützigkeitsverordnung von 1930, die unter Mitwirkung des Verbands entstand, legte die Prinzipien der Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen fest. Sie beinhaltete Gewinnbeschränkungen und die Verpflichtung zur Bereitstellung von Wohnraum für einkommensschwache Schichten. Diese rechtliche Verankerung war ein wichtiger Schritt, um gemeinnützigen Wohnungsunternehmen steuerliche Vorteile zu gewähren und ihre finanzielle Stabilität zu sichern.
Während des Nationalsozialismus wurde die gemeinnützige Wohnungswirtschaft stark zentralisiert und gleichgeschaltet. Der Reichsverband, der 1938gegründet wurde, vereinte alle gemeinnützigen Wohnungsunternehmen unter einer strengen staatlichen Kontrolle. Die Unternehmen wurden zunehmend zu Werkzeugen der nationalsozialistischen Wohnungspolitik, wobei demokratische Strukturen abgeschafft und kleinere Unternehmen in größere Einheiten zusammengeführt wurden.
Nachkriegszeit und Neuordnung der Wohnungswirtschaft
Nach dem Zweiten Weltkrieg brach das nationalsozialistische Organisationsmodell zusammen. In den westlichen Besatzungszonen entstand 1946 der „Gesamtverband gemeinnütziger Wohnungsunternehmen“ (GGW) als neuer Spitzenverband. Dieser Verband setzte sich dafür ein, die Wohnungsnot in Deutschland durch den Wiederaufbau von Wohnraum zu lindern. Dabei waren die Herausforderungen gewaltig: In vielen Städten war ein Großteil des Wohnraums zerstört und Millionen von Vertriebenen suchten nach einer neuen Bleibe.
Die 1950er-Jahre brachten einen regelrechten Boom im sozialen Wohnungsbau. Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der Verabschiedung des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes im Jahr 1950 erhielt der GGW eine zentrale Rolle in der Wohnungswirtschaft. Die Mitgliedsunternehmen des Verbandes bauten in den 1950er- und 1960erJahren Hunderttausende Wohnungen, um den Wohnraumbedarf zu decken. 1951 verlegte der Verband seinen Sitz nach Köln und nahm eine neue Satzung an, die den Unternehmen mehr Einfluss auf die Entscheidungen des Verbandes gab. Die 1960er-Jahre waren geprägt von einer stetigen Professionalisierung der Wohnungswirtschaft, einschließlich der Einführung von Ausbildungsprogrammen für Fachkräfte.
Die Reform des Gemeinnützigkeitsrechts und die 1990er-Jahre
1990 änderte sich die Struktur der Wohnungswirtschaft grundlegend. Der GdW, der 1990 aus dem GGW hervorging, spielte eine entscheidende Rolle bei der Integration der ostdeutschen Wohnungsunternehmen in das westdeutsche System. Die Regionalverbände der neuen Bundesländer schlossen sich dem GdW an, wodurch der Verband zu einer gesamtdeutschen Organisation wurde.
Eine bedeutende Zäsur in der Geschichte des GdW war die Aufhebung des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes zum 1. Januar 1990 im Zuge der Steuerreform. Damit entfiel die gesetzliche Grundlage für die Gemeinnützigkeit der Wohnungsunternehmen, was einen grundlegenden Wandel der Branche auslöste. Am 23. September 1990 wurdedas Gesetz über die Eröffnungsbilanz in Deutscher Mark und die Kapitalneufestsetzung (DM-Bilanzgesetz – DMBilG) verabschiedet, das nach der Wiedervereinigung in das Bundesrecht übernommen wurde. Damit wurden die in der Bundesrepublik geltenden Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung in der DDR eingeführt und alle Vermögensgegenstände sowie Schulden neu bewertet. Die Bewertung der Grundstücke und Gebäude von Betrieben der Wohnungswirtschaft erfolgte nach dem „Viehweger-Erlass“, benannt nach dem letzten Bauminister der DDR. Ein vereinfachtes Verfahren, das stark dem „Teilwerterlass“ ähnelte, der von den westdeutschen Unternehmen zur Neubewertung in der steuerlichen Eröffnungsbilanz nach Abschaffung des WGG zur Anwendung kam. Im Zuge einer dreistufigen Mietenüberleitung wurden die in der DDR bis 1990 gültigen Wohnungsmieten mit Blick auf das nun bundesweit in allen 16 Ländern geltende Mietrecht angepasst.
Im Zuge des massiven Strukturwandels in den ostdeutschen Ländern nach der Wiedervereinigung, der vielfach zu Arbeitsplatzverlust und Arbeitslosigkeit führte, kam es zu einer umfangreichen Abwanderung der Bevölkerung hin zu wirtschaftlich prosperierenden Standorten, meist nach Westdeutschland. Der Einwohnerschwund schlug sichauf die Quartiere nieder. Ende der 1990er-Jahre standen rund eine Million Wohnungen in Ostdeutschland leer.
Dem zunehmenden Wohnungsleerstand wurde durch Wohnungsrückbau und -abriss begegnet. Die Stadtumbau-Programme sowohl im Osten als auch im Westen Deutschlands unterstützten die Wohnungsunternehmen im Zuge des Strukturwandels. So konnten zahlreiche Unternehmen das Programm nutzen, um sich im Rahmen des Altschuldenhilfegesetzes durch Rückbau von Teilen der Altschulden aus der DDR-Zeit zu befreien. Trotz dieser Veränderung gelang es dem GdW, die Interessen seiner Mitglieder weiterhin zu vertreten und die Branche durch diese Umbruchphase zu führen. Die ehemals gemeinnützigen Wohnungsunternehmen passten sich an die neuen marktwirtschaftlichen Bedingungen an, ohne ihre sozialen Aufgaben zu vernachlässigen.
Die 1990er-Jahre waren zudem geprägt von einer Professionalisierung der Bildungsangebote in der Wohnungswirtschaft. Der GdW gründete das Europäische Bildungszentrum der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (EBZ), das sich zu einer der führenden Bildungseinrichtungen für die Immobilienwirtschaft entwickelte. Dadurch wurde sichergestellt, dass die Branche langfristig über gut ausgebildete Fachkräfte verfügt.
Der GdW im 21. Jahrhundert: Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung
Im neuen Jahrtausend hat der GdW seinen Fokus erweitert und sich verstärkt dem Thema Nachhaltigkeit zugewandt. Mit dem Ziel, ökologisch und sozial verantwortlichen Wohnraum zu schaffen, setzt sich der Verband dafür ein, den Wohnungsbau in Deutschland nachhaltiger zu gestalten. Dies spiegelt sich in der „Mittelfriststrategie 2006-2010“ wider, die nachhaltiges wirtschaftliches Handeln in den Vordergrund stellt. In den Folgejahren hat der GdW diesen Weg konsequent fortgesetzt.
Ein weiterer Meilenstein war der Umzug des GdW nach Berlin im Jahr 1999, wodurch der Verband näher an den politischen Entscheidungsprozessen in der Hauptstadt war. In den letzten Jahren spielte der GdW eine Schlüsselrolle bei der Formulierung von politischen Forderungen in Bezug auf den Wohnungsbau, insbesondere im Hinblick auf die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum in wachsenden Städten. Der Verband ist heute ein unverzichtbarer Partner der Politik auf der Bundesebene.
Mit der Einrichtung eines eigenen Büros in Brüssel 2002 hat der GdW seine internationale Ausrichtung verstärkt und vertritt die Interessen der deutschen Wohnungswirtschaft zudem auf europäischer Ebene. Er ist Mitglied im größten europäischen Dachverband Housing Europe und dort seit vielen Jahren im Vorstand vertreten.
Mit dem Umzug innerhalb Berlins im Jahr 2017, näher an die politischen Institutionen der Bundeshauptstadt und in ein eigenes Verbandsgebäude, festigte der GdW auch räumlich seine Position als bedeutendster Verband der Branche. Im Zuge der steigenden Zuwanderung nach Deutschland und in die Ballungsregionen im Laufe der 2010er-Jahre wurde das Thema Wohnungsmangel in den Großstädten und gleichzeitig Leerstand in Abwanderungsregionen zu einer der zentralen Herausforderungen, an denen der GdW mit Blick auf politische Lösungen von Seiten der Regierung mit Nachdruck arbeitet.
Seit dem Jahr 2020 bestimmt die Thematik der sich überlagernden, teils weltweiten Krisen von Corona über den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und deren wirtschaftlichen Auswirkungen ebenfalls die Verbandsarbeit des GdW. Gemeinsam mit seinen Regionalverbänden wird sich der GdW auch in den kommenden 10 Jahrzehnten und darüber hinaus für gutes, sicheres, nachhaltiges und vor allem bezahlbares Wohnen in Deutschland einsetzen. (schi)